de-synopsis

Der Film spürt den Sehnsüchten und Ängsten der heutigen vernetzten Welt nach und dreht dafür die Zeit über 100 Jahre zurück, als Telefon, Film und Fernsehen ihren Anfang nahmen. Wie heute Social Media, entfachten diese frühen Medien utopische Vorstellungen von grenzenloser Kommunikation, Demokratisierung des Wissens oder gar vom Weltfrieden durch gegenseitiges besseres Verständnis. Doch auch damals löste die mediale Überwindung von Zeit und Distanz gleichzeitig Besorgnis um Privatsphäre, Sicherheit und Moral aus.

Mit Hilfe von leidenschaftlich recherchiertem, vielfach noch nie gezeigtem Archivmaterial aus ca. 200 Filmen liefert uns die Kompilation ein schillerndes Mosaik zeitloser Hoffnungen und umschiffter Gefährdungen und rückt ganz nebenbei auch die Rolle der Frauen in der Geschichte der modernen Kommunikation ins rechte Licht. Diese Geschichte der modernen Massenkommunikation hilft, unsere heutige, vernetzte Welt zu verstehen.

.

 

“Jedes Zeitalter denkt von sich, es wäre das Fortschrittlichste …”

… aber nur das Unsere ist wirklich einzigartig, da es erstmals jeden mit jedem verbindet, alles mit allem verrechnet und sich dabei stetig beschleunigt! Wir sind nicht nur modern, sondern post-modern, post-industriell und bald vielleicht schon post-human! Unser maßloser Hunger nach Information und Daten scheint weltgeschichtlich ohne Vorbild und Vergleich …

Der Essayfilm MOBILISIERUNG DER TRÄUME relativiert und erweitert diesen gängigen Blickpunkt. Anhand von zahlreichen Filmausschnitten aus der Frühzeit der Medien werden die vermeintlich neuen Begierden und Ängste zurück bis zur Geburtsstunde von Telefon, Fernsehen und Kino verfolgt. Diese Zeitreise nimmt ihren Anfang beim ersten Medien-Boom des späten 19. Jahrhunderts und macht Stück für Stück sichtbar, wie die sozialen Verwerfungen unserer heutigen vernetzten Welt bereits in einem Zeitalter vorgezeichnet wurden, in dem Telegraph und Lochkarte im selben Ausmaß für revolutionär gehalten wurden, in dem wir Social Media und Big Data heute sehen.

An den neuen technischen Möglichkeiten entzündete sich umgehend auch die Utopie einer besseren Welt. Basierend auf einer grenzenlosen und völkerverbindender Kommunikationstechnologie würden demnach – wenn sie erst jedem zur Verfügung stünde – einerseits Wohlstand und Friede gefördert, anderseits Krieg und gesellschaftliche Ausgrenzung beseitigt werden. Durch das mediale Zusammenrücken, das Bündeln der Anstrengungen und das Vorausberechnen der Zukunft müsse fast zwangsläufig ein gerechterer Ort für alle entstehen.

Aber was das Medienzeitalter zunächst versprochen hat und was schließlich auch daraus wurde, könnte unterschiedlicher nicht sein. Die ursprüngliche Offenheit wich bald Regeln, Vorschriften und Gesetzen. Aus dem chaotischen Durcheinander privat genutzter Funkwellen und Frequenzen wurde zum Beispiel schnell ein staatliches Kommunikationsmonopol, dem ein zentral gesteuerter Rundfunk zur Seite stand. Schleichend trugen die neuen Medien so zum Verlust der Privatsphäre und zur allgegenwärtigen Überwachung bei und machten damit Ängste wahr, welche die hoffnungsvollen Utopien von jeher begleitet hatten.

MOBILISIERUNG DER TRÄUME ist eine atemberaubende Montage filmischer Fundstücke, die Manu Luksch, Martin Reinhart und Thomas Tode in jahrelanger Arbeit in den Archiven der Welt gesichtet und zusammengetragen haben. Aus über 200 Spielfilmen, Wochenschauen, wissenschaftlichen und ästhetischen Experimenten entstand so eine dicht gewebte und bildgewaltige Erzählung voll mit hellseherischen Momenten, irrwitzigen Details und überraschenden Wendungen.

Die Ausschnitte, von denen die meisten erstmals seit ihrem Entstehen wieder zu sehen sind, werden durch eine Stimme zusammen gehalten (Sprecherin englische Fassung: Tilda Swinton / Sprecherin deutsche Fassung: Dörte Lyssewski), die eher über unser aktuelles Dilemma, als die Vergangenheit zu sprechen scheint, aus dem das historische Material stammt.

Durch den Brückenschlag, den MOBILISIERUNG DER TRÄUME mit diesem Trick zwischen der heutigen medialen Welt und ihren idealistischen Ursprüngen am Beginn des letzten Jahrhunderts macht, wird das Konzept einer medialen Öffnung für das 21. Jahrhundert als positive Lehre aus der Geschichte vorgeschlagen.

 

REGIE STATEMENT

Darüber nachzudenken, wo wir stehen und wohin die Reise geht, fällt schwer in Anbetracht der rasend schnellen Entwicklung unserer heutigen Zeit. Trotzdem braucht es diese Reflexion, denn sonst sind wir dazu verdammt, die Fehler zu wiederholen, die zu entdecken und verstehen wir noch gar keine Möglichkeit hatten.

MOBILISIERUNG DER TRÄUME ist ein dichter und poetischer Filmessay, der unserer medialen Vergangenheit, deren Versprechungen und den damit verbundenen Träumen nachspürt. Dadurch, dass er die drängenden Fragen der heutigen vernetzten Welt in eine historische Perspektive rückt und nach den Wurzeln aktueller technologischer Utopien sucht, ist er aber auch ein zeitgemäßer und politischer Film. Die Bedeutung von Sicherheit und Privatsphäre haben vor dem Hintergrund der neuen technischen Möglichkeiten sicherlich an Brisanz gewonnen, doch ein Blick in die Vergangenheit zeigt, dass viele der damit verbundenen Fragestellungen bereits mit dem Aufkommen der ersten Kommunikationsmedien virulent geworden sind.

Einige der ProtagonistInnen dieser fast vergessenen Geschichte kommen uns überraschend modern, andere fern und fremd vor – speziell jene, denen wir zu den Rändern des multimedialen Utopias folgen. Allzu gerne verdrängen wir die unrühmliche Verquickung zwischen Kolonialismus und medialer Expansion, haben keinen Begriff mehr vom mühsamen Errichten, Verteidigen und Betreiben der weltweiten Kommunikationsnetze. Diese kolossale Leistung wurde eben nicht nur von genialen Ingenieuren, sondern vor allem durch schlecht bezahlte Arbeiter und tausendfachen sinnlos geopferte Soldaten ermöglicht. Eine besondere Rolle nehmen in diesem Zusammenhang auch die Frauen ein, die als Sekretärinnen und Telefonistinnen ab 1900 als gering geschätzte Arbeitskräfte ausgenutzt wurden. Auch den vergessenen Idealisten und Pionieren räumt MOBILISIERUNG DER TRÄUME ausreichend Platz ein und rückt sie an ihre angemessene Stelle – darunter die erste Regisseurin der Filmgeschichte, Alice Guy, und der vermutlich ersten weiblichen Discjockey.

Überraschend ist auch die prominente Rolle, die MOBILISIERUNG DER TRÄUME dem Fernsehen als Ideengeber und fantastischem Fluchtpunkt der frühen Mediengeschichte einräumt. Als technische Lösung und Idee ist es älter als das Kino und kaum war es erdacht, befeuerte es auch schon die wildesten technologischen Fantasien. Bereits um die Jahrhundertwende stellte man sich vor, wie es wäre, wenn alle über sprechende Bilder live verbunden wären. In den Labors und Bastelstuben entstanden damals bereits die ersten Prototypen. Obwohl das Fernsehen erst in den 20er Jahren technisch funktionierte, wurde es im Verbund mit dem Kino und dem Telefon immer als “Echtzeitmedium” gedacht.

Manu Luksch, Martin Reinhart, Thomas Tode 2015